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TONSTUDIOS
Toningenieur Alex Morcöl im Regieraum der Hansa Studios
Kulturen aufeinanderprallen“, wo es „eine
natürliche Spannung“ gibt: Berlin kurz
nach der Maueröffnung. So entstand das
eher düstere Album „Achtung Baby“ mit
(auch) von Drumcomputern und Synthe-
zisern geprägtem Sound zum größten Teil
in den Hansa Studios.
Ein Sound, der den Hansa Studios
bereits früher einen legendären Ruf
beschert hatte. David Bowie war es gewe-
sen, der (zusammen mit Iggy Pop) als
einer der ersten Rockstars von Weltruhm
hier aufnahm - und sich neu erfand. Vom
soul- und discogeprägten Sound der Vor-
gängeralben „Young Americans“ und
„Station To Station“ hin zu den eisigen
Klanglandschaften von „Low“, seiner ers-
ten von drei Platten, die er hier einspielte,
scheint es jedenfalls ein weiter Weg. Und
die Atmosphäre des Meistersaals hat
dazu sicher einiges beige-
tragen. Zumindest inspi-
rierten ihn Szenen, die er
von hier aus durchs Fens-
ter beobachten konnte, zu
einem Klassiker: „Heroes“
handelt von Liebenden,
die sich unter den Blicken
der Wachleute im Schatten
der Mauer treffen. Und da
gibt es ja noch den frühen
Nick Cave sowie Depe-
che Mode, deren Ent-
wicklung von tanzbarem
Synthie-Pop hin zu gewichtigerem Elec-
tro-Rock ebenfalls eng mit Berlin ver-
bunden ist. So wurde hier „Construction
Time Again“ (1983) abgemischt, bei dem
erstmals Geräusche gesampelt wurden,
später nahmen Depeche Mode in den
Hansa Studios „Black Celebration“ auf,
ihr vielleicht düsterstes Album. Und selbst
ein Herbert Grönemeyer überraschte auf
„Bleibt alles anders“ mit aufregenden
Elektronik-Sounds, die viele dem Deut-
schrock-Barden nicht zugetraut hätten.
„Besonderer Sound"
Neben David Bowie (l.) und dessen Produzenten
Tony Visconti (M.) ist Eduard Meyer zu sehen. Wir
sprachen mit dem heute /0-Jährigen, der von 1976
bis 1990 Toningenieur in den Hansa Studios war
Wie sind Sie ToningenieurderHansa Studios
geworden?
Nach dem Musikstudium am Robert-Schu-
mann-Konservatorium
und
einer Toninge-
nieursausbildung
an
der
Fachhochschule
Düsseldorf hatte ich bereits erste Aufnah-
meerfahrungen mit Trude Herr hinter mir.
Auch in den Hansa Studios arbeitete ich
überwiegend mit Schlagersängern und Lie-
dermachern wie Hildegard Knef oder Rein-
hard Mey, dazu kamen Big Bands wie die
von Paul Kuhn. Aber auch Rockgruppen wie
Tangerine Dream, Can und Kraftwerk habe ich
betreut, letztere Band zusammen mit Conny
Plank im Cornet-Studio in Köln.
Was verschlug einen Weltstar wie David
Bowie Mitte der 70er in die Hansa Studios?
Mit der Produktion seines Albums „Low"
hatte Bowie bereits im französischen Chateau
d’Herouville begonnen. Aber dann plauderte
jemand aus der Studiocrew Interna an die
Presse aus und Bowie ist von dort geflüchtet.
Da der Meistersaal belegt war, musste er
erstmal in das kleinere Hansa Studio in der
Nähe des Kurfürstendamms. Zwei Stücke sind
aber im Meistersaal entstanden, unter anderem
„Art Decade", auf dem ich Cello spiele.
Wie kam es zum Kontakt mit David Bowie?
Da ich von den Mitarbeitern die besten Eng-
lischkenntnisse hatte, war ich bei Bowies Ses-
sions zu „Low" als Übersetzer tätig. Zudem war
mir als Toningenieur der Meistersaal vertraut,
von welchem man ja keinen direkten Sicht-
kontakt zum Regieraum hatte, dem heutigen
„Grünen Salon" - der wurde damals durch eine
alte Schwarz-Weiß-Videokamera hergestellt.
Wie war die technische Ausstattung der Hansa
Studios?
Ganz zu Beginn gab es nur ein altes, klappri-
ges Mischpult von Bertelsmann, das Probleme
machte. Ziemlich schnell aber waren die Han-
sa Studios technisch auf dem neuesten Stand,
wobei man auch an Details wie guten Goldkon-
takten nicht sparte. Nehmen Sie das analoge
Mischpult SSL 4000-E von 1981, das noch heute
dort verwendet wird. Es hat 72 Kanäle und ist
computergestützt, so dass man Reglerbewe-
gungen im Computer speichern und sich so
Schritt für Schritt an einen Endmix herantasten
kann. Bis dahin musste man Strophe und Refrain
getrennt mixen und erst dann zusammenschnei-
den, denn selbst bei einem dreiminütigen Titel,
wo rund 500 Eingriffe am Mischpult stattfinden
können, wäre man sonst überfordert gewesen.
Manche Produktionen in den Hansa Studios
zeichnen sich durch spezielle Sounds aus.
..
Bei den Sessions des Bowie-Albums „Low"
verwendete Produzent Tony Visconti den ers-
ten Harmonizer auf dem Markt, ein Effektgerät,
das innerhalb einer kurzen Nachhallzeit die
Tonhöhe verändert. Das setzte er ein, um der
Snare-Drum einen besonderen Sound zu verlei-
hen. Und Tangerine Dream verwendete für das
Album „Force Majeure", das als durchsichtige
Schallplatte („Clear Cut") erschien, eine Se-
quenz von einem Band, auf dem ich eine alte
Dampflokomotive 01 in Bebra aufgenommen
hatte.
Wie haben Sie die Akustik des Meistersaals
genutzt?
Für eine TV-Produktion von Berthold Brechts
Theaterstück „Baal" nahm David Bowie fünf
Stücke auf. Produzent Tony Visconti hatte
die Idee, dem Direktklang der Stimme vier
Mikrofon-Signale aus den oberen Ecken des
Saals beizumischen. Damit erzielte er eine
hochinteressante Wärme und Präsenz des
Künstlers. Der holzgetäfelte Meistersaal hat
ja eine Charakteristik, die man damals tech-
nisch unmöglich nachahmen konnte. Zudem
sind viele Produzenten gekommen, weil man
hier Schlagzeug nicht wie sonst üblich trock-
en aufgenommen hat, sondern - in Anleh-
nung an den berühmten Phillysound - natürli-
chen Hall drauflegte. Das geschah, indem
man durch Lautsprecher das Musiksignal in
den Keller bzw. ins Treppenhaus sandte, per
Mikrofon einfing und dann mit minimaler Ver-
zögerung hinter das eigentliche Signal setzte.
Wie haben Sie David Bowie privat erlebt?
Vom „Grünen Salon" aus konnte man einen
Wachturm sehen, wo zwei Grenzbeamte mit
Maschinengewehr auf der Schulter patroul-
lierten. Oft hatten wir die Fenster auf, und
spaßeshalber lenkte ich eines Abends den
Strahl einer Lampe direkt in deren Richtung:
Bowie und Visconti stießen einen Schrei des
Entsetzens aus: „Don’t do that!" und stürzten
unter das Mischpult (lacht). Ich beruhigte
sie dann: „Die tun uns nichts". Drogen
waren übrigens ein absolutes Tabu im Studio,
es gab höchstens Bier zu trinken. Was Sex
angeht: Feierabend sitze ich im Grünen Sa-
lon am Mischpult, als drei Mädchen an der
Tür stehen, die David irgendwo angespro-
chen hatte. Woraufhin er zu Iggy meinte: „Du
kannst Dir eine aussuchen, ich nehme die
beiden anderen". Danach war ich nicht mehr
dabei.
36 STEREO 2/2014